Komponisten, Dichter, Magier Große Musik Wenn die Glasharmonika in der Musik heute nur noch am Rande vertreten ist, sollte nicht vergessen werden, dass eine ziemliche Anzahl großer Namen für sie komponiert oder in ihren Werken einen Part vorgesehen haben. Die meisten Werke stammen aus der Blütezeit des Instruments, einige können mit der Kirchgessner direkt in Verbindung gebracht werden. An zeitgenössischen Komponisten seien neben den bereits Erwähnten noch Beethoven, Naumann, Reichardt, Röllig, Schulz genannt, was bei weitem nicht die vollständige Liste darstellt. Auch später geriet die Glasharmonika nie völlig in Vergessenheit. Für bestimmte Parts eignete sich ihr unvergleichlicher Klang besser als jedes andere Instrument. 1835 feierte Donizetti mit seiner „Lucia di Lammermoor“ einen triumphalen Erfolg. In der Schlüsselszene der Oper verfällt Lucia über den Erinnerungen an ihr vergangenes Liebesglück, die Qualen der erzwungenen Eheschließung und ihren Mord am ungewollten Gatten dem Wahnsinn, bevor sie tot zu Boden sinkt. Als Begleitinstrument für die Arie „Il dolce suono“ wählt Donizetti die Glasharmonika. Kein anderes Instrument kann das maßlose Leid und den sich auflösenden Verstand dieser unglücklichen Frau so kongenial in eine Klangmetapher fassen. Wenn die Glasharmonika heutzutage in den meisten Aufführungen der Oper nicht zu hören ist, so deshalb, weil es sowohl an spielbaren Instrumenten wie an geübten Interpreten mangelt (der Part wird durch Geigen ersetzt). Im Jahre 1919 stand in Wien die Uraufführung der Oper „Die Frau ohne Schatten“ an. Der Dirigent kam im Vorfeld der Aufführung mächtig ins Schwitzen. Eine Glasharmonika sollte ihren unverwechselbaren musikalischen Ausdruck zur märchenhaften Geschichte beisteuern und Engelsharfen ihre Stimme leihen. Nur war kein einziges Instrument aufzutreiben. Der Komponist, Richard Strauss, bestand indes auf der vorgesehenen Instrumentierung und weigerte sich, den Part umzuschreiben. Als dann endlich doch ein Instrument gefunden war, gab es ratlose Gesichter. Es fehlte eine Klaviatur, die man als selbstverständlich voraus setzte. Keiner der Musiker konnte die nach langen Mühen entdeckte Glasharmonika spielen und es hätte Wochen bedurft, damit sich jemand einüben konnte. Der Uraufführung blieb der große Erfolg versagt. Strauss mag der fehlenden Glasharmonika einen Teil der Schuld daran gegeben haben. Jedenfalls ruhte er nicht, bis er in der Werkstatt der Familie Pohl, die über Generationen Glasharmoniken herstellte, ein Exemplar auftrieb, das bei den nächsten Aufführungen in der Dresdner Oper eingesetzt wurde. Große Worte Mit der Kirchgessner erreichte die Glasharmonika einen Höhepunkt ihrer Popularität. Was die Wertschätzung der Virtuosin unter den schreibenden Kritikern und kritischen Schreibern anbelangt, war deren Meinung allerdings nicht einhellig. Es gab Stimmen, die ihr Spiel zu artifiziell und temporeich fanden, wo das Instrument nach getragener Spielweise verlangt. Für nicht wenige galt Carl Schneider aus Gotha als der „fertigste“ Virtuose. Auch die Schauspielerin Sophie Friederike Krickeberg genoss einen hervorragenden Ruf. Sie hatte die Ehre, Königin Luise von Preußen zum Geburtstag ein Ständchen spielen zu dürfen und machte E. T. A. Hoffmann mit der Glasharmonika bekannt. Der scheinbar nimmer rastende Goethe jedenfalls ließ sich von der Kirchgessner wiederholt in privatem Kreise vorspielen und besuchte darüber hinaus, Ende Juli 1808, auf Kur in Karlsbad, ein abendliches Konzert der Gefeierten. C. F. D. Schubart, der Jugendfreund Schillers, besucht eines der ersten Konzerte der Kirchgessner und beschreibt in der Schwäbischen Chronik, wie dieses Erlebnis ihn bekehrte. War für ihn vorher die Glasharmonika ein Instrument, „womit man die Jammerklage Abbadonas in der Messiade begleiten“ könne, so vernahm er nun wie der Glaston sich voll entfaltete und so lieblich dahin starb „wie Nachtigallenton, der mitternachts in einer schönen Gegend verhallt“. Er hält dies sowohl dem Hersteller des Instruments, Kapellmeister Schmittbaur als auch der Interpretin, Demoiselle Kirchgessner zugute. Gustav Freytag berichtet vom festlichen Königschießen in einer Kreisstadt im Flachland der schlesischen Oder im Jahre 1805. Dabei wurden auch „musikalische Erfindungen“ aufgeführt, unter anderem „die Glasharmonika, wobei dem Stadtdirektor seine eigene Frau ohnmächtig wurde“. Am meisten hatte es den Empfindsamen unter den Poeten die außerirdische Stimmung angetan, die von dem Instrument ausging. So schreibt Gottfried Keller 1869 in seinen Erinnerungen über einen musikalischen Abend mit Schnyder zu Wartensee „nun begann das Spiel mit den geisterhaftesten Tönen, die ich je gehört habe, bis sie in voller Harmonie zusammen flossen“. Paganini, der Teufelsgeiger, den der Papst exkommunizierte, weil er die Zuhörer in unchristliche Ekstase versetzte, ließ sich von Schnyder zu Wartensee vorspielen und meinte anschließend „Aah, quelle céleste voix! Cela est vraiment pour prier“. Zum Niederknien fand er offensichtlich den göttlichen Klang. Jean Paul schwärmt im „Hesperus“: „O, der Schmerz der Wonne befriedigte ihn, und er dankte dem Schöpfer dieses melodischen Edens, dass er mit den höchsten Tönen seiner Harmonica, die das Herz des Menschen mit unbekannten Kräften in Thränen zersplittern…“. Liane, die junge Frau aus seinem „Titan“, erinnert unweigerlich an die Kirchgessner. Sie ist blind und spielt den „Zephyr des Klanges, die Harmonika“ derart herzbewegend und sinnbetörend, dass einem ihrer Zuhörer im Dunkel der Nacht eine männliche Gestalt erscheint, in der man unschwer denjenigen erkennt, dem wir Instrument und Klang verdanken, Benjamin Franklin. Solch skurril anmutende Szenarien sind keineswegs der Phantasie des Dichters vorbehalten. Im „Tina-Tal“ derer von Brühl, wo sich gern eine ebenso elitäre wie exaltierte Kulturszene traf, lagerte man zu Mitternacht neben Grabmalen und philosophierte beim „Sphärenklang“ der Glasharmonika über Tod und ewiges Leben. Ob die illustren Gesellschaften sich zu solchen Anlässen wie Grufties kleideten, ist nicht überliefert. Natürlich ist das Zauberische des Klanges der Glasharmonika auch den Malern nicht verborgen geblieben. Im Februar 1830 bereitet Caspar David Friedrich eine Ausstellung von Allegorien für St. Petersburg vor. Der Künstler gibt in einem Brief Anweisungen zur Hängung der Transparentbilder. Von hinten beleuchtet sollen sie in einem finsteren Raum betrachtet werden, wobei mittels Schusterkugeln Sonne und Mond auf die Bilder zu projizieren sind. Dazu erklingt aus dem Hintergrund Musik. Heutzutage würde man das Arrangement wohl eine Installation nennen. Auf einem der Bilder träumt ein junger Musiker selig und es „senken sich drei geflügelte Wesen singend und spielend zum Schläfer hinab“. Zum Begleitinstrument der Szene bestimmt Friedrich die Glasharmonika. Jenseits der Musik Das ist allerdings nichts im Vergleich zu den Stücken, die höchst diskret am preußischen Königshof gegeben werden. Fontane schreibt über deren Hauptverantwortlichen. Wöllner „war Minister bei Friedrich Wilhelm II. oder wie die Leute sagen, beim dicken König. Und sie sagen auch, er hätt‘ ihm immer Hokuspokus vorgemacht und Geister und Gespenster, und alles immer mit Weihrauch und Glasharmonika“. Diese Ereignisse um den preußischen König nimmt Fontane an mehreren Stellen wieder auf und berichtet ausführlich über die Geister, die dem König mit freundlicher Unterstützung Wöllners und seiner Kumpanen erschienen. Sogar einen Harmonikaorden soll es gegeben haben. Der muss ausgesprochen geheim gewesen sein, denn weitere Mitteilungen über ihn sind nirgendwo zu finden. Die Geisterbeschwörungen dagegen sind belegt. Wöllner gehörte mit Bischoffwerder und anderen Obskurantisten den Rosenkreuzern an, einer geheimen Loge, die mit abstrusen Ideen und dubiosen Methoden rücksichtslos versuchte, die politische Macht an sich zu reißen. Ihre Anhänger steckten überall, in Militär und Kirche, in der Verwaltung wie in der Wirtschaft. Um den Kronprinzen und späteren König Friedrich Wilhelm bemühten sie sich besonders, zumal sein Hang zum Übernatürlichen bekannt war. Gern wurde erzählt, er glaube, die Geister seiner Vorfahren wohnten in den Bäumen des Grunewalds. Dermaßen vorbelastet, war er das Opfer einer Intrige, die als Theaterposse nicht phantasievoller hätte inszeniert werden können. Ziel war es, die Entscheidungen des Herrschers zu lenken. Wo der Einfluss der Hof- und Geheimräte, Generäle und Minister endete, sollten Geister ihm die Botschaft übermitteln. Zwecks überzeugendster Realitätsnähe beziehungsweise brutalstmöglicher Illusion planten die Verschwörer audio-visuelle Veranstaltungen der besonderen Art. Dazu bedurfte es einer opto-technischen Einrichtung in Form der camera obscura, die je nach Bedarf putzmuntere Gespenster oder würdige Wiedergänger längst verstorbener Berühmtheiten im wabernden Rauch eines glimmenden Feuers erscheinen ließ. Wie jeder Kinogänger weiß, erhält das Bild aber erst durch die passende Musik seine ergreifende Wirkung. Hier kommt Franklin’s Instrument ins Spiel. Wo auch immer die Beschwörungen statt fanden, in den königlichen Schlössern in Potsdam und Charlottenburg, in den Stadtpalästen Eingeweihter in Berlin, auf Gut Marquardt am Schlänitzsee und sonstwo, die sphärenhaften Klänge einer Glasharmonika jagten dem Herrscher den Schrecken in die Glieder. Idee und Gerätschaften für diese Gaukeleien stammten von einem gewissen Schrepfer, Betreiber eines Kaffeehauses in Leipzig, in dessen Hinterzimmer er gern ausgewählten Gästen seine magischen Fähigkeiten vorführte. Über gemeinsame Ordensbrüder aus Rosenkreuzerkreisen lernte ihn dort Bischoffwerder kennen, dem bald aufging, dass in Schrepfers Shows mehr Potential steckte, als damit brave Bürger ins Bockshorn zu jagen. Man musste sie nur dem richtigen Publikum vorführen. Schrepfer war eine recht umtriebige Figur. Heutzutage würde man ihn einen schrägen Vogel nennen, wie seine wohl größte Nummer belegt. Eines Tages bat er einige Freunde, unter ihnen Bischoffwerder, zu einem sehr frühen Spaziergang ins Rosental. Unvermittelt ließ er seine Begleiter plötzlich auf dem Wege stehen und verschwand hinter einem Busch. Einige Zeit später fiel dort ein Schuss. Die Männer eilten in die Richtung und fanden einen Toten, der offensichtlich Selbstmord begangen hatte. Keiner der Männer zweifelte, dass Schrepfer vor ihnen lag. Der Leichnam steckte in seinen Kleidern. Daran war er leicht zu erkennen. Am Aussehen weniger, er hatte sich mit einem Terzerol in den Mund geschossen. Da der Vorgang angesichts vorausschauend hinzu gezogener Zeugen und dem Fehlen jeglichen Hinweises auf eine, wie auch immer geartete, Mitwirkung Dritter klar erschien, bestätigte man amtlicherseits Schrepfers Tod. Bezeichnenderweise taucht Bischoffwerder anschließend in Leipzig sofort unter und nach geraumer Zeit in Berlin wieder auf, mitsamt dem „Schrepferschen Apparat“. Mit dessen Hilfe bringt er es zur grauen Eminenz im Außenministerium und zum Generaladjutanten von Friedrich Wilhelm II. Den ehemalige Pfarrer Wöllner macht der König zum Minister. Schrepfer war nicht der einzige, der seinerzeit mit Projektionen arbeitete, die das „inverse“ Prinzip der camera obscura anwendeten. Dabei wurden keine Abbilder der Außenwelt auf die innere Rückwand eines kleinen schwarzen Kästchens projiziert, sondern aus einer verborgenen Kammer heraus mittels einer Linse Bilder in den Zuschauerraum geworfen. Dieses Verfahren machten sich auch die im ausgehenden achtzehnten Jahrhundert durch die Lande ziehenden „Phantasmagoristen“ zunutze. Wer auf den Effekt von Musik setzte, für den war die Glasharmonika unerlässlich. Sie stand nun einmal im Ruf, auf geheimnisvolle Weise vom Menschen Besitz ergreifen zu können. Kaum jemand wusste das besser als der „Magnetiseur“ Mesmer. Schon als junger Arzt in Wien hatte er systematische Versuche zur Reaktion seiner Patienten auf bestimmte Instrumente durchgeführt und baute auf eine den Heilungsprozess unterstützende Kraft der Klänge. Als Modearzt in Paris berühmt geworden, gehört die Glasharmonika in seinen mondänen Behandlungsräumen zu den unerlässlichen Requisiten der Kuren. So ungewöhnlich einem manches an seinen Verfahren auch erscheinen mag, einzelne Aspekte klingen durchaus modern. Die Sitzungen haben gruppentherapeutischen Charakter. Mit Handauflegen will der Behandler einen Prozess fördern, der das innere Gleichgewicht des Patienten wiederherstellt und seine Selbstheilungskräfte frei macht. Voraussetzung dazu ist die „Krise“, deren Entstehen durch Musik unterstützt wird. Kein anderes Instrument eignet sich dazu besser als die Glasharmonika. armonica.de
Weiter zu “Nachspiel”